Dr. Klaus Heer

Stuttgarter Zeitung 6. Juli 2021
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«Baby-Sprache innerhalb der Beziehung»

INTERVIEW: SANDRA MARKERT
Warum legen sich Paare häufig eigene Wörter und eine eigene Art des Miteinander-Sprechens zu?
Zwei Menschen, die eine Liebesbeziehung starten, erschaffen sich damit ein kleines gemeinsames Universum. Innerhalb der Grenzen dieses Liebeskosmos kreieren sie eine Liebessprache, verbal und auch nichtverbal. Liebe kann nur gedeihen, wenn die Partner in ihrer Welt eine Liebeskultur bauen, die einmalig und unverwechselbar ist. Sie blüht im Medium des dauernden Austausches zwischen den beiden Menschen.

Geschieht das vor allem zu Beginn einer Beziehung und falls ja, warum?
Viele Beziehungen sind in den ersten Wochen und Monaten extrem intensiv. Die Verliebtheit gilt als der Gründungsmythos der Liebesgeschichte. Die beiden Menschen definieren sich als Paar sowohl redenderweise als auch im Charakter ihrer Berührungen. Sie tun das in einer Intensität, die kaum jemand lange durchhalten kann. Verliebtheit dauert im grossen Durchschnitt ungefähr 90 Tage. Dann landen praktisch alle entrückten Paare wieder unsanft auf dem buckligen Erdboden.

Wortwahl und Tonfall erinnern nicht selten an die Sprache, mit der man sonst mit Babys redet. Gibt es dafür eine Erklärung?
Beide zentralen Lebensbereiche, Paarschaft und Babywelt, werden arg romantisiert. Das ist ja unbedingt notwendig; ohne diese Verklärungsbemühungen gäbe es nämlich weder verzückte Liebe noch wonnige Babybilder. Das Menschengeschlecht stürbe aus.

Zeugt eine Paarsprache von einer besonders engen Verbundenheit / Vertrautheit?
Jedes Paar entwickelt im Laufe seiner Liebesgeschichte immer wieder eine neue Sprache. Jede dieser Sprachen entspricht dem aktuellen Entwicklungsstand der Beziehung. Wirklich bedrohlich sind eigentlich nur die Sprachausfälle. Krisengeplagte Paare erleben und beschreiben das zum Beispiel mit der Feststellung, sie hätten einander «nichts mehr zu sagen». In Wirklichkeit haben sie viel zu verschweigen. Beziehungsrealität, die schwierig zu formulieren und nur mit Mühe zu hören ist. Verbundenheit ist aber nur über diesen mutigen Austausch zu schaffen.

Was passiert, wenn Paarsprache an die Öffentlichkeit dringt?
Natürlich ist das peinlich, wenn zwei Verliebte öffentlich hörbar turteln. Besonders unangenehm mutet die kindliche Ausdrucksweise eines Paares an, das schon länger zusammen ist und immer noch infantil miteinander verkehrt. Allerdings teilt man das dem Paar selbst niemals direkt mit, man verhandelt das hinter vorgehaltener Hand. Es wäre auch peinlich, in den Verdacht zu geraten, dass man ja nur neidisch ist auf den offensichtlich intakten Verliebtheitsstatus des Paares.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor